Der erste Fang über einen Meter
Es waren wieder einmal Sommerferien. Aufgrund meiner pubertären Phase wurde ich für diese 6 Wochen von meinen Eltern verstoßen - „Sie wollten sich im Urlaub erholen“!!
Nach der Zeugnisausgabe wurde ich im Eilexpress zu meinen Großeltern gebracht. Das mein Vater eine Vorliebe für solch hohe Geschwindigkeiten entwickelt hatte, war mir neu!?
Dann stand wieder einmal ein elendiges Aufnahmeritual in die Dorfclique an. Das hieß, Beschaffung von Getränken aus der nächsten Ortschaft mit anschließender Verkostung. Der Wasseranteil sollte jedoch nie 60 % übersteigen. Eine übermotivierte Kassiererin wollte allerdings nicht, dass ich so viel Geld für mein auserwähltes Getränk ausgebe. Eine billige aber fatale Alternative stellte Tafelwein dar. Mit knurren und vorzeigen meines Ausweises konnte ich den Laden mit den Pappbehältern verlassen.
Nach 14 (in Worten: V I E R Z E H N) Kilometern Rückfahrt mit dem Fahrrad und annähernd dem gleichen Gewicht auf dem Rücken, sattelte ich am Treffpunkt Bushaltestelle ab. Überschwängliche Freude sieht anders aus! Egal, nach einer Stunde hatten sie mich alle lieb. In der Dämmerung stellte ich die Frage, wann es denn losgehe zum Angeln. Ich musste feststellen, dass nicht nur ich mich in einer Phase befand, wo es wichtigeres als Angeln gab. Nach langen und harten Verhandlungsrunden konnte ich den harten Kern oder anders gesagt die noch frei-denkenden und ungebundenen Dorfgesellen zum Angeln überreden.
Am See angekommen wurden schnell die Bissanzeiger aktiviert.
Leider hatte uns zu diesem Zeitpunkt keiner unserer Erziehungsberechtigten mitgeteilt: „Bier auf Wein das lass sein“.
Während der Eine also ein Wiedersehen mit dem Abendmahl feierte, fiel der andere in den Tiefschlaf und unterhielt sich mit den im gegenüberliegenden Wald ansässigen Schwarzwild. Andere zu denen ich zählte, plagte der Hunger. Abhilfe sollten die Apfelbäume auf der Kuhweide schaffen. Hinderlich war allerdings der Stromzaun. Da ich im Physikunterricht aufgepasst hatte, wusste ich, dass Gummi ein schlechter Stromleiter ist. Selbstbewusst stellte ich mich mit den Stiefeln auf den Zaun und machte den Weg frei. Leider wurde nicht bedacht, dass ich zuvor im Wasser auf Krebssuche war. Da die Reflexe – vermutlich aufgrund der Müdigkeit – nicht mehr die Besten waren, erhielt ich einige erst sanfte aber dann doch in Intervallen immer heftigere Schläge. Nachdem die geistige Verarbeitung und Zuordnung der Schläge erfolgt war, sprang ich mit einem beherzten aber nicht gut umgesetzten Sprung zur Seite. Dort befand sich ein toter Ast, der aufgrund des enormen Pressdruckes den kleinen Abhang Richtung See hinabrollte. Ich folgte!
Die nun eingetretene Situation erforderte wiederum geistige Höchstleistung und schnelle Reaktionsfähigkeit. Ich hielt das Festhalten an vorbeisausenden Gerätschaften für eine angemessene Lösung, bedachte aber nicht, dass es sich hier um scharfgemachte Angelsachen handelt. Dennoch verlief zunächst alles erfolgreich und ich landete im Gegensatz zum Ast
nicht im Wasser.
Strike!
Noch beim Aufstehen aus meiner misslichen Lage, stellte ich fest, dass sich die Angel bewegt. Ein weiterer Grund zur Freude. Die daraufhin ausgesetzten Endorphine versetzten mich in einen rauschartigen Zustand. Selbst das Lachen der Freunde geriet in den Hintergrund. Erst als einer sagte, dass ich in der Angelsehne hänge, konnte ich wieder klare Gedanken im geistigen Nirwana bündeln. Dabei musste ich feststellen, dass meine Angelkumpanen im Unrecht waren und korrigierte deren Aussage: „Ich hänge nicht in der Sehne, ich hänge am Haken!!“.
Während meine Freunde (!!) erneut durch Lachkrämpfe geplagt waren, begutachtete ich die Situation und wollte den Haken aus den Daumen herausziehen. Nun hab ich sie endlich verstanden - ich weiß, wie die Selbsthakmontage funktioniert. Auch die sonst angezweifelte Qualität der Haken stellte sich auf einmal als hervorragend heraus. Apropos „heraus“ – der Haken blieb im Daumen.
Nach dem Bußegang gen Großeltern, kam eine erneute Begutachtung – nur der Fingernagel verhinderte den Austritt auf der anderen Seite des Daumens. Es setzten auch die ersten Schmerzen ein. Dem Versprechen meines Opas, nicht zu versuchen den Haken heraus zu ziehen, folgte ein Urschrei meinerseits und Wortbruch auf der anderen Seite.
Ein Telefon war nicht vorhanden und so musste der Berg zum Propheten. Mit dem Motorrad wurde der verletzte Daumen durch die Wälder Mecklenburgs bis in ein nahe(!!)gelegenes Krankenhaus transportiert. Nach einer örtlichen Betäubung mit kleiner OP und mit der Auflage eines 3-tägigen Angelverbotes durfte ich das Krankenhaus verlassen. Am Folgetag zog ich meinen größten Karpfen!
Gruß
Bono